Belege aus dem Entstehungsprozess der Verlorenen
Welt machen deutlich, das A. Conan-Doyle seiner
Erzählung größtmögliche Wirklichkeitsnähe verleihen wollte
(1). Wie es
seiner Art
entsprach, nahm er Inspirationen aus seinem unmittelbaren Umfeld auf
und
recherchierte verschiedenste Details selbst. Bei seinem ‚Science
Fiction’-
Roman bezog er außerdem die Erfahrungen wirklicher Reisender
Edward’scher Zeit aus
seinem Bekanntenkreis ein. (2)
In diesem
Zusammenhang verdient seine
Rezeption von
Forschungsergebnissen gesonderte Aufmerksamkeit.
Das Evolutionsverständnis des Textes ist noch stark teleologisch: sie führt auf den modernen Menschen hin. Dieser ist über ein „fehlendes Bindeglied“ (‚missing link’) (3) mit dem Tierreich verbunden – eine Theorie, die insbesondere im 19. Jahrhundert diskutiert wurde. Des weiteren findet sich eine fragwürdige, aber sehr wirkmächtige Theorie zum Verhältnis zwischen Schädelgröße (beziehungsweise Nervenmasse) und Intelligenz (→ LW 119).
Die Geologie ist von besonderer Bedeutung für den Plot, der ja von der Sonderstellung eines Plateaus abhängt. Die Theorie, die zu deren Erklärung angeführt wird, sieht Veränderungen in der Gestalt der Erde vor, erklärt diese jedoch auf Grundlage vulkanischer Aktivität (→ LW 29).Aus heutiger Sicht wäre dieser Gesichtspunkt neu zu fassen, um mit bestimmten Einzelheiten zur Struktur und Entwicklung der Erde vereinbar zu sein, insbesondere mit der Plattentektonik.
Der eigentlich entscheidende Punkt ist jedoch nicht, inwieweit die im Roman dargestellten theoretischen Konzepte späteren (und somit mutmaßlich feiner ausdifferenzierten) Wissensständen entsprechen – aus geschichtlicher Perspektive mögen sie tatsächlich als vergleichsweise fortschrittlich gelten – sondern dass dieses literarische Werk überhaupt einen wissenschaftlichen Standpunkt einnimmt.
Diese Postionierung
schließt einen
starken Glauben an diesen, damals noch potentiell revolutionären,
Ansatz ein
und zeugt von einer starken Verbindung zum geistigen Leben der Zeit.
Sie dürfte
auch den Ansichten des Autors entsprechen. Darüber hinaus weist sie
einen sehr
speziellen, gewissenhaften Arbeitsstil aus, wie er nicht ohne
Weiteres mit unterhaltender
Literatur in Verbindung gebracht wird.
Während ein Verbindungspunkt zur äußeren Weltlage durch den Autor zustande kommt, ergibt sich ein anderer aus den jeweiligen umfassenderen historischen und (kultur-) räumlichen Zusammenhängen.
Ein herausragendes Merkmal der Verlorenen Welt ist die optimistische und selbstsichere Perspektive, die alle Abendheuer übersteht. Tatsächlich bestand im viktorianischen Großbritannien (wie auch in den Vorkriegsjahren unter Edmund VII.) ein gewisses Sicherheitsempfinden inmitten des Wandels, auf das man sich stützen konnte.(4)
Der Hintergrund des Romans ist der einer im Wesentlichen prosperierenden, ausgedehnten Weltmacht, deren Imperialstreben noch nicht in Frage gestellt worden war. Zum Ende des 19. Jahrhunderts standen mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung unter britischer Herrschaft. Ein starkes Vertrauen in die Kraft der eigenen Lebensweise ergibt sich so recht einfach und erklärt den Entdeckungsdrang ebenso wie die auf Unterwerfung gerichtete Haltung gegenüber dem, was man im Unbekannten vorfindet. Die rassischen Untertöne des Werks sind in diesem Zusammenhang zu interpretieren.
Auch wenn man berücksichtigt, dass die Bedeutung von Stereotypen und ‚Kürzeln’ für das Fremde (5) hier eine besondere ist, da der Plot dem Phantastischen so nahe steht, und sogar, wenn man die gelegentlichen Fälle satirischer Distanz hinzunimmt, hat der Roman doch erklecklichen Anteil an Problemfeldern, die im post-kolonialen Diskurs zu brennenden Fragen und Einwänden wurden.
Im Guten wie im
Schlechten trägt Die Verlorene Welt tatsächlich die
Spuren eines ganz bestimmten – und wirklich verschwundenen –
geschichtlichen
Moments in sich.