1. Einleitung: Annäherungen an Sherlock Holmes
In die Welt des „Sherlock Holmes”: Geschichtliche Spuren und Hintergründe, Textkritik und die anhaltende Anziehungskraft von an der Seite eines charismatischen Genies lückenlos aufgeklärten Geheimnissen. Einführung, Ansatz und Überblick.
“It is wonderful!” [Watson] cried. “Your merits should be publicly recognised. You should publish an account of the case. If you won’t, I will for you.”(from: “A Study in Scarlet”, II/7)
Bis in unsere Zeit genießen die genialen Qualitäten von Sherlock
Holmes, dem größten (fiktiven) Detektiv aller Zeiten, hohes Ansehen:
Tausende faszinierter Leser teilen auch heute noch weltweit Dr.
Watson’s tiefe Bewunderung für seinen exzentrischen Gefährten, und
nehmen bereitwillig die Einladung an, ihn für den eigentlichen Autor
der Texte zu halten.
Der Umstand, dass beide Figuren aus der Feder Sir Arthur Conan
Doyle’s sind, konnte darum dem Ruhm, den der Detektiv für seine „Verdienste”
(”merits“)
tatsächlicher
erhielt,
wenig
anhaben: Anders als der seines Autoren sind Name und
Erscheinungsbild des Detektivs allgemein bekannt – er ist zu
einem Symbol souveräner intellektueller Höchstleistung und der
Prinzipien rationalen Denkens geworden. Bei Diskussionen zum Thema im
Freundes- und Bekanntenkreis hatte ich den Eindruck, es sei kaum nötig,
ihnen etwas über Holmes selbst zu erzählen, sondern vielmehr, sie daran
zu
erinnern, dass ich nicht Geschichten von sondern über den
Meisterdenker
behandelte.
Dieser erstaunliche Effekt ist der Tatsache zu verdanken, dass Conan
Doyle in seinen gut 60 Geschichten (1)
über Sherlock Holmes – zusammen knapp als Werkkanon (Canon)
bezeichnet – weit mehr getan hat, als eine komplexe und wirklich
außerordentliche
Figur zu erfinden, oder wissenschaftliche Elemente in die
Kriminalliteratur einzuführen: Er schuf eine komplette Welt – die Welt
des Sherlock Holmes.
In meiner Arbeit werde ich zu einer Expedition in diese
geheimnisumwobene Welt aufbrechen und mich von meiner eigenen
Vorstellungskraft und Leseerfahrung leiten lassen. Zunächst möchte ich
die Leser mit dem ersten und einzigen konsultatorischen Detektiv
der Welt und seiner berühmten Methode der Deduktion bekannt machen,
wobei deren Komponenten und ihre Bedeutungen analysiert werden sollen.
Anschließend werde ich etwas von den Texten zurücktreten und einen
aufmerksamen Blick auf einige geschichtliche Gegebenheiten werfen, die
für die Erzählungen von entscheidender Bedeutung sind. Nach einer
knappen Skizze der Zeit Conan Doyles, die zugleich Holmes’ Zeitalter
ist, werde ich mich auf zwei Aspekte konzentrieren, die meiner Meinung
nach von besonderem Interesse sind: Die Männer- und Frauenrollen wie
der Werkkanon sie darstellt und die Gerechtigkeitsvorstellungen, an
denen Holmes sein Handeln ausrichtet.
Zum Schluss möchte ich mich an den Rand von Sherlock Holmes’
Mikrokosmos bewegen und unsere nicht-fiktionale Welt aus diesem
ungewöhnlichen Blickwinkel betrachten. Hauptsächlich auf Grundlage
meiner persönlichen Erfahrung werde ich einige Argumente bieten,
weshalb wir so begierig darauf sind, Watsons Berichte als wahr
anzusehen. Um meine Argumentation auf eine solide Grundlage zu stellen,
werde ich diese theoretischen Überlegungen mit einem schnellen
Überblick des Kultes um Sherlock Holmes in Vergangenheit und Gegenwart
verbinden.
Meine Arbeit ähnelt daher einer Rundreise durch die virtuelle Heimat
des Sherlock Holmes. Ausgehend von ihrem Mittelpunkt gehen wir
schrittweise rückwärts, bis wir einen guten Eindruck der Landschaft
erhalten. Selbstverständlich kann ich keine Komplettinterpretation der
Texte abgeben oder genauer auf einzelne Details eingehen(2)– ganz wie ein Reiseführer muss
auch ich eine Auswahl treffen, in der
Hoffnung, dass mein Publikum mir darin folgt. Schließlich
bleibt, glaube ich, nur noch eines zu sagen: „Komm, Watson,
komm!
Das Spiel ist
eröffnet!”
.(3)